Es war einmal …

Ein Arzt in der Notaufnahme: ca. 22.15 Uhr. An einem Freitag.

„Hallo fraujanes. Momentan müssen wir die Befunde abwarten und operieren. Es kann sein, dass weitere innere Verletzungen vorliegen und dass eine Lähmung ab dem ersten Halswirbel besteht. Gehen Sie nach Hause. Sie können hier momentan nichts für Ihn tun. Ruhen Sie sich aus. Kommen Sie morgen früh ab 09:00 wieder. Im Zimmer sowieso können Sie seine Sachen mitnehmen. Wir mussten leider Jacke, T-Shirt und Hose aufschneiden.“

So ähnlich lauteten die Worte, die dazu geführt haben dass die Welt da draußen plötzlich leise wurde. Als ob jemand einfach so die Lautstärke auf ein schwaches Rauschen runtergedreht hätte. Das werde ich nie mehr vergessen.

Es war vor ca. 13 Jahren. Landstraße. Überholvorgang eines anderen. Mein Mann (da noch mein Freund) war zur falschen Zeit am falschen Ort. Frontalzusammenstoß. Notaufnahme. Operation. Vier Monate Koma. Ungewissheit. Erwachen. Der Unfallgegner hatte ein großes Auto. Oberschenkelhalsbruch. Mein Mann saß allein in einem Kleinwagen. Innere Verletzungen, Polytrauma. Aber er hat überlebt. Ohne Lähmung. Da war eine Menge Glück im Unglück im Spiel.

Dieses Ereignis hat uns aus jedem „normalen“ Lebensverlauf raus katapultiert. Andere waren auf Partys, genossen ihre Jugend, unternahmen tolle Urlaube oder Weltreisen, beendeten ihre Ausbildung oder ihr Studium, nahmen erste Jobs an und schafften sich finanzielle Sicherheit für die Zukunft. Bei uns Pflege & Rehabilitation, Rollstuhl, Gehstützen, Training, Verdienstausfall, Studienabbruch, Depression, Medikamentenabhängigkeit wegen starker Schmerzen, langwieriger Rechtsstreit mit der Versicherung des Gegners, Krankenkassen, Rentenversicherung, Schulden. Weil er noch Student war und kein Arbeitgeber dahinter stand, ist er durch alle Maschen des Sozialsystems durchgerauscht. Weder Krankenkasse noch Rentenversicherung wollten die Rehakosten übernehmen. Also Pflege, Reha und Training in Eigenregie. Da ich zu dem Zeitpunkt noch studiert habe und Bafög bezog, konnte ich auch kaum einen finanziellen Beitrag leisten. Unsere Familien waren auch hilflos. Wir haben zeitweise von einem dreistelligen Betrag zu zweit gelebt.

Irgendwann vier Jahre später kam dann das Schmerzensgeld. Ein fünfstelliger Betrag. Längst nicht genug, um physische und psychische Folgebeeinträchtigungen abzufangen. Er musste alle zukünftigen Ansprüche abtreten. Wir waren zu müde und zu schwach, weiter zu kämpfen. Wir wollten nur noch, dass dieses Kapitel endet. Das war eine ganz schwere, sehr prägende Zeit.

ABER! WIR haben es überlebt. Es hat uns stärker gemacht und es hat uns eng, ganz eng zusammengebracht. Manche sagen ja nach so einem Ereignis, dass man das Leben ganz anders wertschätzt oder so ähnlich. Ich kann für uns sagen, dass sich unsere Prioritäten verändert haben und wir manche Dinge aus einem anderen Blickwinkel sehen. Diese „Mein Haus, Pferd, Boot, zwei Autos in Garage, drei Urlaube im Jahr, unsere tollen Freunde, dafür Arbeiten bis zum Umfallen und sich verschulden, etc.-Geschichte“ ist nicht die Grundlage unseres gemeinsamen Glücks. Zumal wir uns das (immer noch) nicht leisten können ;)Es hat sich damals wirklich sehr schnell herausgestellt, welche Freundschaften dieser Situation Stand halten. Es waren nur sehr, sehr wenige und diese Freundschaften bestehen heute noch.

Es hat letztlich fast 5 Jahre gedauert bis wieder so etwas wie Normalität eingetreten ist und weitere fünf Jahre bis sich unsere Lebensqualität merklich verbessert hat.Das war dann auch der Zeitpunkt, wo sich seit ca. 2009/ 2010 so langsam der Wunsch nach einem Kind ganz leise, kaum hörbar, aber kontinuierlich lauter werdend eingeschlichen hat.

Es soll im Blog nicht um den Unfall und seine Folgen gehen. Das Kapitel ist abgeschlossen, obwohl es uns natürlich geformt hat. Und weil es mir auch hilft, unsere Situation im Umgang mit dem Kinderwunsch etwas besser zu verstehen habe ich es hier kurz beschrieben 😉

Herzliche Grüße,

fraujanes

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